“Anti-Claim-Management” vs. “Claim Management”
26.05.2016. Ein Plädoyer für ein faires Miteinander im Projekt.
In den vergangenen 4-5 Jahren dringt vermehrt der Begriff „Anti-Claim-Management“ ins Bewusstsein derjenigen, welche sich mit der Abwicklung von komplexen Projekten im Bauwesen, Anlagenbau und Sondermaschinenbau beruflich beschäftigen. Im vorliegenden Artikel wird beleuchtet, was es mit dem Begriff „Anti-Claim-Management“ auf sich hat, ob dieser unserer Ansicht nach gut gewählt oder sogar kontraproduktiv für die gemeinsamen Projekte von Auftraggebern und Auftragnehmern ist.
Fundstücke aus dem World Wide Web:
Beginnen wir mit einigen textlichen Fundstücken aus dem World Wide Web. Im Jahr 2012 hat der Rechnungshof von Österreich einen Bericht mit dem Titel „Anti–Claimmanagement und Korruptionsbekämpfung bei Straßen– und Bahnbauvorhaben“ herausgegeben.
In der Kurzfassung zum Bericht des österreichischen Rechnungshofes hieß es damals:
„Die überprüften öffentlichen Bauherrn setzten ihre Maßnahmen zur Abwehr unberechtigter Vergütungsansprüche der Auftragnehmer (so genanntes Anti–Claimmanagement) bei den überprüften Bauprojekten zum Teil mangelhaft um.“
Liest man diesen Satz Wort für Wort, so wird klar, dass die Autoren dieses Berichtes „Claim Management“ an sich als Methode zur Durchsetzung unberechtigter Vergütungsansprüche der Auftragnehmer gegen den öffentlichen Auftraggeber betrachten. Ist dem wirklich so? Wir haben weiter recherchiert.
Ein weiteres Fundstück aus dem World Wide Web. Auf einer Webseite der HafenCity Universität Hamburg wird im Studiengang „Bauökonomie“ die Vorlesung „Anti-Claim-Management für Architekten“ von Herrn Professor Reinhold Johrendt wie folgt zusammengefasst:
„Wieder einmal sind Großprojekte großflächig aus dem Ruder gelaufen. Kostenermittlungen, Terminplanungen und Verträge halten nicht, was sie versprechen. Während die konsequente Wahrnehmung der Interessen der Auftragnehmerseite im Bauwesen durch eine Professionalisierung des Claim-Managements längst die Praxis durchdrungen hat, zeigt sich auf der Auftraggeberseite noch Nachholbedarf, um wieder auf Augenhöhe zu kommen und Kostentreue sowie die Einhaltung der Terminpläne durchzusetzen. Besonders öffentliche Auftraggeber brauchen professionelles Anti-Claim-Management.“
Aus unserer Sicht klingt die Zusammenfassung von Herrn Professor Johrendts Vorlesung danach, dass „extrem stark bewaffnete“ Auftragnehmer sich unter Zuhilfenahme unfairer Mittel Vorteile sichern wollen. Flapsig gesagt: „Die Auftraggeber kommen mit einem Messer zu einer Schießerei“. Oder?
Noch ein textliches Fundstück: Beim 1. BBB-Kongress (Baubetrieb, Bauwirtschaft und Baumanagement) am 15.09.2011 an der TU Dresden hielt Herr Mag. Markus Schlamadinger, damals tätig für die Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft mbH, einen Vortrag, in dem es unter anderem heißt:
„(…) Die zweite Problematik die sich für öffentliche Auftraggeber im Sinne des Bundesvergabegesetzes (Anmerkung des Autors: in Österreich) stellt ist, dass schlussendlich Einzelpersonen, Mitarbeiter des Auftraggebers darüber entscheiden, ob ein solcher Claim (Anmerkung des Autors: des Auftragnehmers gegen den Auftraggeber) zu Recht besteht bzw. in welcher Höhe dieser zu Recht besteht. Durch das Fällen einer entsprechenden Entscheidung übernimmt der jeweilige Mitarbeiter quasi die Verantwortung für diese Entscheidung, was aber noch viel wesentlicher ist, ist die Gefahr, dass sich der jeweilige Mitarbeiter dem Verdacht der Untreue des § 153 Strafgesetzbuch (StGB) aussetzt. Gemäß § 153 StGB ist, wer die im durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, wissentlich missbraucht und dadurch dem anderen einen Vermögensnachteil zufügt, mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen (…).“
Hier wurde jetzt sogar in Österreich anwendbares Strafrecht in die Argumentation für die Notwendigkeit eines „Anti Claim Managements“ mit eingebracht. Ist dies wirklich ein Ansatz, der förderlich ist für eine Projektkultur, innerhalb derer Auftraggeber und Auftragnehmer gemeinsam am Wohl des Projektes arbeiten, welches der Dynamik des Projektalltages unterworfen ist?
Partnerschaft setzt voraus, dass man die Realität kennt und Regeln hierfür aufstellt.
Unserer Ansicht nach ist Claim Management jedoch keine ehrenrührige oder gar strafrechtlich relevante Vorgehensweise zwischen Vertragsparteien im industriellen Projektgeschäft. Claim Management stellt vielmehr die Gesamtheit von organisatorischen, methodischen, kaufmännischen, vertraglichen und prozeduralen Instrumenten dar, die es erlauben, auf der Basis anwendbaren Rechts und gültiger Verträge mit Störungen des geplanten Projektverlaufes umzugehen. Warum kann es dann sein, dass Claim Management in unseren oben genannten Beispielen als unfair, gar als illegitime „Waffe“ der Auftragnehmer von Auftraggebern begriffen wird? Wenden diese Auftraggeber nicht auch die Instrumente des Claim Managements gegen ihre Auftragnehmer in den Projekten an? Und wenn ja, wird dies dann als „Anti-Claim-Management“ bezeichnet und sind dessen Instrumente in den Händen des Auftraggebers auf einmal fair?
Der Begriff „Claim Management“ bedeutet unter anderem doch, dass Ansprüche auf Kompensation von Störungen, die eine Vertragspartei schuldlos erleidet, im Projekt behandelt werden müssen. Woher diese Störungen resultieren, steht zunächst auf einem anderen Blatt. Selbstverständlich ist es ärgerlich, wenn etwas anders läuft im Projekt, als die Vertragsparteien sich dies bei Unterzeichnung des Vertrages gedacht haben. Selbstverständlich ist es auch ärgerlich, wenn ein Auftraggeber für die Durchführung eines Projektes nur ein Budget mit der Summe X hat. Aber ist es nicht genauso ärgerlich, wenn ein erfahrener Auftraggeber es versäumt hat, in seiner Budgetkalkulation für das Projekt zu berücksichtigen, dass komplexe industrielle Projekte Störungen und Änderungen unterworfen sind, für die er eine Reserve hätte berücksichtigen müssen? Meinte der österreichische Rechnungshof nicht eher, wenn er "Anti-Claim-Management" als „Maßnahmen zur Abwehr unberechtigter Vergütungsansprüche der Auftragnehmer“ (siehe oben) bezeichnet, dass „Anti-Claim-Management“ bedeutet, Maßnahmen zur Abwehr von Vergütungsansprüchen der Auftragnehmer zu ergreifen, die den Auftraggeber überrascht haben, weil er seine Verträge nicht hinreichend kannte?
Der Auftraggeber schaut aus einem anderen Blickwinkel.
Bevor der vorliegende Artikel den Eindruck erweckt, zu sehr das Lied des „gebeutelten Auftragnehmers“ zu singen, soll auch die Seite des Auftraggebers beleuchtet werden. Basierend auf Marktbedingungen, innerhalb derer niemand Geld zu verschenken hat und die in vielen Segmenten ein Käufermarkt sind, zählt der Vertragspreis, bei, auf den ersten Blick, vergleichbarem Leistungsumfang des Auftragnehmers. Wenn auf Auftragnehmerseite Vertriebsorganisationen tätig sind die, ebenfalls auf den ersten Blick, clever agieren und den angebotenen Leistungsumfang unscharf halten, so sollte sich die Auftragnehmerseite auch nicht über eine Verschärfung des Tonfalls im Projekt wundern. Und dies ist dann der Zeitpunkt, an dem der Begriff „Anti-Claim-Management“ auf Auftraggeberseite ins Spiel kommt. Gleiches gilt auch, wenn die Vertriebsorganisation des Auftragnehmers „Hintertürchen“ in den Vertrag mit dem Auftraggeber einbaut. Mit Partnerschaftlichkeit zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer und dem Aufbau und der Pflege von langfristigen Beziehungen zwischen den Parteien hat dies alles nichts mehr zu tun.
Der Schauplatz des Konfliktes ist anderswo.
Aus der obengenannten Darstellung der unterschiedlichen Blickwinkel wird klar, dass nicht unbedingt das Vorgehen von Auftraggeber und von Auftragnehmer während der Projektabwicklung die Probleme schürt, sondern vielmehr deren Vorgehen während der Gestaltung des Projektvertrages. Letztendlich geht es darum, dass intelligente Konzepte für Vorgehensweisen im Vertrieb und dem Einkauf auf Seiten der Vertragsparteien notwendig sind, die es den Parteien ermöglichen, eindeutig beurteilen zu können, was im Projektalltag nach Unterschrift des Projektvertrages auf sie zukommen wird. Dies heißt im Klartext, das wechselseitig geschuldete Leistungssoll im Vertrag zu schärfen und ein vertragliches Instrumentarium zu schaffen, was ebenso wechselseitig fair ist. Gleichermaßen heißt es, dass Vertragswerke im industriellen Projektgeschäft stets unmissverständliche Regularien enthalten sollten, die es ermöglichen, mit Ablaufstörungen, Abweichungen, Änderungen und deren Konsequenzen für die Parteien umzugehen. Nicht zuletzt bedeutet dies auch, intelligente Konzepte in Vertrieb und Einkauf zu etablieren, die bereits bei der Vertragsgestaltung berücksichtigen, dass die Dynamik des Projektalltages Streit mit sich bringen kann und man diesen Streit sachgerecht lösen muss, um langfristige Beziehungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer nicht zu stören.
Fazit: In welche Ecke sollte der Begriff „Claim Management“ gehören?
Unserer Meinung nach nicht in die ehrenrührige Ecke. Setzt man zu den Begriffen „Claim Management“ und „Anti-Claim-Management“ die Begriffe „Problembehandlung“ und „Anti-Problembehandlung“ synonym, so wird schnell klar, dass der Begriff „Anti-Claim-Management“ die dynamischen Rahmenbedingungen in der Projektabwicklung nicht richtig beschreibt, sondern vielmehr dazu beiträgt, ein an sich richtiges Management-Instrumentarium in eine Ecke zu stellen, in die es nicht gehört. Claim Management sollte ein Instrumentarium zur wechselseitigen Vertragserfüllung sein. Und der Begriff „Anti-Claim-Management“? Der gehört unserer Meinung nach in jene Ecke, die man nicht mehr kennen muss, wenn Verträge fair und klar für beide Vertragsparteien sind.
(Autor: Jürgen Hahn)
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